Besuch des UN-Sonderberichterstatters in 02/2006
Der Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Herr Vernor Muñoz, hat vom 13. bis 21. Februar 2006 Deutschland besucht. Der Sonderberichterstatter dankt der deutschen Regierung für die Einladung und auch denjenigen, die er im Verlaufe seines Besuchs getroffen hat.
Im Verlaufe seines Besuchs hat der Sonderberichterstatter die Umsetzung des Rechtes auf Bildung im Lichte von vier Querschnittsthemen analysiert:
1) die Auswirkungen des deutschen föderalen Systems
2) die Reform des Bildungssystems, die infolge der Ergebnisse des OECD-Programms zur
internationalen Bewertung von Schülerleistungen (PISA) durchgeführt wurde
3) die Struktur des Bildungswesens
4) der Paradigmenwechsel bei der Migration in Verbindung mit demographischen Veränderungen und sozio-ökonomischen Faktoren.
Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland legt fest, dass die Länder die fast uneinge- schränkte Gesetzgebung in Bildungsangelegenheiten haben. Jedes Land verfügt über umfassende Zuständigkeiten in Bildungsangelegenheiten, dies wird durch die Gesetzgebung festgelegt, die von den jeweiligen Parlamenten verabschiedet wird.
Demzufolge verfügt Deutschland nicht über ein einheitliches Bildungssystem, da es keinen länderübergreifenden konsistenten Rahmen gibt. Auf nationaler Ebene sind unterschiedliche Einrichtungen für bestimmte Aufgaben im Hinblick auf politische Debatten und die nationale Koordination zuständig. Eine der wichtigsten Einrichtungen in diesem Bereich ist die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK), die die Koordination zwischen den Ländern und den Bundesbehörden koordiniert und für Bildung, Forschung und kulturelle Angelegenheiten sowie für Weiterbildung zuständig ist. Darüber hinaus untersteht die Bildungsverwaltung der zentralen Verwaltung und es gibt lokale Selbstverwaltungs-organe, deshalb verfügen Schulen nur über eine eingeschränkte Autonomie.
Darüber hinaus haben zahlreiche Untersuchungen, die im Rahmen des PISA-Programms durchgeführt wurden, gezeigt, dass in Deutschland ein enger Zusammenhang zwischen sozialem/Migrationshintergrund der Schüler und den Bildungsergebnissen besteht. Dies war u.a. auch ein Auslöser der Bildungsreform. Die Reform wird vor allem von der Notwendigkeit bestimmt, ein System zu schaffen, das den spezifischen Lernbedürfnissen jedes einzelnen Schülers besser entgegenkommt. In dieser Hinsicht legt der Sonderberichterstatter der Regierung eindringlich nahe, das mehrgliedrige Schulsystem, das sehr selektiv und sicher auch diskriminierend ist, noch einmal zu überdenken.
In der Tat geht der Sonderberichterstatter davon aus, dass bei dem Auswahlprozess, der im Sekundarbereich I stattfindet (das Durchschnittsalter der Schüler liegt abhängig von den Regelungen der einzelnen Länder bei 10 Jahren) die Schüler nicht angemessen beurteilt werden und dieser statt inklusiv zu sein exklusiv ist. Er konnte im Verlaufe seines Besuchs beispielsweise feststellen, dass sich diese Einordnungssysteme auf arme Kinder und Migrantenkinder sowie Kinder mit Behinderungen negativ auswirken.
Im Hinblick auf Kinder von Migranten und Kinder mit Behinderungen vertritt der Sonderbe- richterstatter die Auffassung, dass es notwendig ist, Aktionen einzuleiten, um soziale Ungleichheiten zu überwinden und um gleiche und gerechte Bildungsmöglichkeiten für jedes Kind sicherzustellen, insbesondere für diejenigen, die dem marginalisierten Bereich der Bevölkerung angehören.
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49. Der Sonderberichterstatter stellt fest, dass die erfolgreiche Reform des gesamten deutschen Bildungssystems als Ganzes sowohl inhaltlicher als auch struktureller Reformen bedarf. Es sollten sieben Kernbereiche herausgestellt werden:
1) Wandel von einem selektiven Bildungssystem zu einem System, bei dem das Individuum unterstützt wird und dessen spezifi- sche Lernfähigkeiten im Mittelpunkt stehen;
2) Größere Unabhängigkeit der Schulen, dies bedeutet, dass Schulen flexibel und autonom in der Nutzung ihrer Finanzen, der Einstellung von Lehrern und der Umsetzung der zentralen Zielsetzungen sein sollten;
3) Verbesserung der Bildungsinhalte und Methoden, insbesondere durch eine systematische Sprachausbildung der Migranten, die Verstärkung der Lesefähigkeiten und die Einführung neuer Medien;
4) Verstärkung der demokratischen Schulkultur, indem man dem Kind mehr Autonomie und die Möglichkeit gibt, seine Kompetenzen einzusetzen;
5) Die Strukturen sollten so gestaltet werden, dass sie jedem die Chance geben, sein/ihr Potenzial auszuschöpfen, beispielsweise durch verstärkte Kindergartenangebote, die Einführung von Ganztagsschulen und den Verzicht auf ein gegliedertes Schulsystem. Im Hinblick auf das Letztgenannte sollte festgehalten werden, dass – trotz erfolgreicher ausländischer Beispiele eines Schulsystems für alle Schüler, durch das Kinder die Möglichkeit haben, für einen längeren Zeitraum gemeinsam zu lernen und durch das alle angehalten werden, bessere Ergebnisse zu erzielen – die Diskussion über das mehrgliedrige System, das der Sonderberichterstatter für extrem selektiv hält, große Angst und Widerstand auszulösen scheint, insbesondere Besorgnis über den Verlust von Privilegien für diejenigen, die am meisten vom aktuellen System profitieren;
6) Eine andere Ausbildung für Lehrer, die nicht nur in ihrem Fachgebiet spezialisiert sein sollten, sondern auch auf pädagogischer Ebene;
7) Stärkere Investitionen und mehr Finanzmittel für frühkindliche Unterstützung, dafür sollten die Finanzen besser investiert und verteilt werden.
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Anmerkung: Dieser Bericht wurde im Januar 2007 von der KMK, ins Deutsche übersetzt, der Öffentlichkeit vorgelegt.
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